Aus „Die Botschaft des Drachenrings“, Ein Spion wird enttarnt

So nass, wie sie waren, schlüpften Phil und Leo in ihre Sachen. Die Schwerter nahmen sie mit.
„Zum Affenbrotbaum müsst ihr da entlang.“ Über dem Seeufer flatterte Marinus auf und ab. Er hatte sich so verbogen, dass Drachenkopf und -schwanz in dieselbe Richtung wiesen.
Unschlüssig stand Leo vor der Hibiskushecke. „Kann er uns nicht wenigstens über die Hecke fliegen? Sonst brauchen wir ja ewig.“
Nach Phils Übersetzung warf Marinus sie sich auf den Rücken und fegte dicht über die Hibiskushecke hinweg. Dabei gabelte er mit seinen Klauen Blätter und Blüten auf.
„Na prima, bei der Hecke sind wir ein für allemal unten durch. Für die zählen wir ab jetzt zum Feindbild“, beschwerte sich Leo.
Der Drache brachte sie bis zu einem Baum mit einem sehr dicken, flaschenförmigen Stamm und weit ausladender Krone. „Das ist der Affenbrotbaum.“ Auf der Suche nach einem Landeplatz legte sich Marinus mächtig in die Kurve, Phil und Leo mussten sich an seinen Hörnern festklammern.
Über Kieferbäumen stoppte er und kippte sie auf den goldgelben, trichterförmigen Hut eines Riesenpfifferlings. Nach der weichen Landung rollten sie in die Mitte. Als sie zum Rand krabbelten, neigte sich der Hut nach unten, sodass sie ins Gras purzelten.
Wegen seines auffälligen Stammes war der Affenbrotbaum nicht zu verfehlen.
„Elisa?“, rief Phil, als sie ihn einmal umrundet hatten.
„Willst du die Schatten anlocken?“ Leo schaute ängstlich nach oben.
„Marinus und Flocke sind in der Nähe. Wie sollen wir Elisa sonst finden?“ Phil zog immer größere Kreise um den Baum. Nachdem er ihren Namen zum zehnten Mal gerufen hatte, raschelte es unter einem Strauch und ein kugeliges Tier mit hellbraunem Fell und fast nacktem Schwanz kam herausgehüpft. Es stellte sich auf die Hinterbeine und fixierte sie mit seinen schwarzen Knopfaugen.
„Was ist das denn? Eine hüpfende Riesenratte?“ Phil hob das Schwert, auch wenn das Tier mit seinen runden Ohren, den Pausbacken und der schwarzen Knubbelnase irgendwie niedlich aussah. Man konnte fast meinen, es würde sie angrinsen.
„Das ist ein Kurzschwanzkänguru“, sagte Leo leise. „Es hat sogar ein Junges in seinem Beutel.“
Phil hatte sich schon gewundert, warum das Tier auf dem Bauch ein weiteres Augenpaar besaß, aber das gehörte dem Nachwuchs und das, was Phil für einen vorstehenden Bauchnabel gehalten hatte, war dessen Nase.
Das kleine Känguru legte den Kopf schief, dann hopste es weg.
Leo lief ihm hinterher, worüber Phil sich ärgerte. Er sollte ihm lieber helfen, Elisa zu suchen.
„Phil!“ Das war Leo. Hatte ihn das Tierchen etwa gebissen? Zuerst wollte Phil ihn zappeln lassen, denn panisch hatte Leo nicht geklungen. Schließlich war er doch neugierig.
Er fand Leo vor einem Haufen Pfeile kniend. Es waren die Pfeile aus Elisas Köcher.
So sehr sie ihre Augen anstrengten – mehr Spuren gab es nicht. Nicht einmal Fußabdrücke, außer ihren eigenen.
Phil nahm die Pfeile an sich. Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte ihn. War Elisa ohnmächtig oder verletzt und ein Erdbär hatte sie in seine Höhle gezerrt?
Der Boden war mit Moos und Gras bedeckt, an keiner Stelle war er aufgewühlt.
„Und wie nun weiter?“ Leo zupfte am Saum seines T-Shirts, ließ ihn aber gleich wieder los.
Ein Schatten legte sich über sie, zum Glück war es nur Marinus. „Flocke ist weg“, teilte er Phil mit ungewohnt ernster Stimme mit.
„Elisa auch.“ Wie gerne würde Phil glauben, dass die beiden nur einen Spazierflug machten, doch das Ziehen in seinem Bauch hatte sich verschlimmert. Er wurde wütend auf Marinus. Warum hatte der nicht aufgepasst, statt Purzelbäume zu schlagen? Um nicht loszuschimpfen, biss Phil sich auf die Zunge. Vorwürfe nützten jetzt gar nichts.
„Ich bringe euch sofort zur Höhle.“ Der Drache kam im Sturzflug auf sie zu, schnappte sie mit den Vorderklauen und stieg schräg in die Luft. Während des Fluges schwiegen sie. Vor dem Höhleneingang setzte Marinus sie ab und entfernte sich rasch.

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